Nina Brodowski (Berlin, Juli 2005)
Imaginationen in Berlins Mitte
"Imagination heißt, den Prozess zu beginnen, der die Wirklichkeit verändert." Dieser Satz stammt von bell hooks anlässlich einer Konferenz über das politische Moment beim Schreiben. Das scheint mir ein gutes Begleitwort für diese Ausstellung zu sein - denn was hier ausgestellt wird, sind nicht nur architektonische Imaginationen einer anderen Mitte der Stadt Berlins - Es geht hier auch darum, sich Stadt anders vorzustellen, oder sich einzugestehen. Die ausgestellten Exponate und Entwürfe für diesen Ort beinhalten daher ein Potential - oder vielleicht eher eine Brisanz - die sie weniger ihrem jeweiligen Inhalt als ihrer gemeinsame Proklamation verdanken: Nämlich dass die Mitte der Republik verhandelbar ist! Die Herausforderungen und Fragen, die mit diesen Entwürfen einhergehen, ist eine Erschütterung an elementaren Grundlagen unserer „nationalen“ Erzählung. Eine Erzählung, die von einer „deutscher Einigkeit“ ausgeht, die so gar nicht real oder haltbar ist.
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In Ermangelungen an einer „Vorstellungsfigur“ für eine zeitgenössische Stadt im Europa des 21. Jhr., bedeutet für viele Liebhaber der Schlossrekonstruktion dieser ständig historisch aufgeladene Ort um und unter dem Palast eine Art letzte Bataillon aller Wert- und Tugendhaftigkeit. Ähnliche Romantisierungen gelten auch für die Nostalgiker des Palasts. Auf beiden Seiten stehen mythische Verklärungen und die Sehnsucht nach authentischer Identität. Es wird eine Identität ersehnt, die zusammenhält und einheitlich ist. Die über Jahre im Vokabular des Kalten-Kriegs geführte Diskussion um die Rekonstruktion des Schlosses, brachte in ihrer Polarisierung, denke ich, genau dies zum Vorschein: den zunehmenden Rückgriff auf integre und romantisiert-verklärte Gesellschafts- und Geschichtsbilder. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist dieses Phänomen zwar erklär-, jedoch nicht halt- oder vertretbar. Und auch der gegenseitige Vorwurf der Gewalt und unrechtmäßigen Zerstörung - also jetzt hier im Bezug auf die Sprengung des Schlosses bzw. den geplanten Abriss - verdeckt das eigentliche Unrecht: Das nämlich besteht darin, alle bruch- und widerspruchsvollen Konzepte von nationaler Identität und Geschichte abzulehnen oder gar zu verurteilen. Die ersehnten Projektionen des Schlosses können daher eigentlich nur im „Walt Disney-Kontext“ oder Disneyfizierung diskutiert werden, und zwar genau weil unsere Geschichte weder bruchlos noch die Anrufung an die homogene deutsche Kulturnation haltbar ist, wie dieser Mythos es gerne evozieren möchte … Entweder dagegen oder dafür, entweder Ost oder West, entweder Chaot oder Kulturbanause oder eben europäischer Bildungsbürger.
Das Unrecht liegt nicht darin, dass der Palast abgerissen werden soll oder das Schloss einst gesprengt wurde. Es lag und liegt darin begründet, die bestehenden Formen nicht aufzugreifen oder mitzunehmen, sondern den Raum als massives Monument besetzen und alles vorherige und streitende darunter begraben zu wollen. Es liegt darin, unsere Geschichte gewalthaft einer Linearisierung zu unterziehen und damit jeglichen Zweifel und vorhandene, auch geschichtliche Widersprüche, nicht nur zu zu betonieren und sprichwörtlich Gras drüber wachsen zu lassen – um sie so aus der Gegenwart in eine möglichst schnell vergessene Vergangenheit zu verbannen . Dabei ist unsere Gesellschaft ist durchzogen von Unterschieden und unterschiedlichen Bildungs- und Kulturvorstellungen. Und das gilt auch und noch immer für Ost und West z.B. Die Überwindung dieser - aber auch generell - gefühlten oder realexistierenden Unterscheidungen nicht zu ignorieren, müßte gerade auf die Iterierbarkeit von Zeichen setzen: d.h. darauf, dass Zeichen neue Bedeutung annehmen können. Dies allerdings nur durch eine andauernde Transformation, nicht abrupt, nicht durch das Tabu, nicht durch das Gebot!!! Denn eine Transformation und Umdeutung eines Zeichens entsteht niemals unter Zwang. Und wenn es darum geht, eine „gemeinsame“ Mitte der Republik zu erzeugen, müsste es eben darum gehen, einen gemeinsamen Erfahrungsraum zu schaffen, der dann durchaus mit widerspruchsvoller Bedeutung aufgefüllt sein kann ja sogar bevorzugt sein sollte. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht sind dies die Aspekte, die die hier gezeigten Exponate interessant machen: Weil eben hier Entwürfe und Projekte angedacht werden, die sich dem Statement zunächst entziehen und nicht behaupten. Das ist etwas, was Roland Barthes einmal als das freiheitliche Moment d er künstlerischen Sprache bezeichnete, das in dem Vermögen liegt, den Sinn in der Schwebe zu lassen: „Sinn zwar zu konstruieren, ihn jedoch nicht genau auszufüllen“ - ihn als Frage dem Betrachter entgegenzubringen.
Greifen wir ein paar Beispiele, bzw. Teilaspekte einzelner Arbeiten heraus:
Der Vorschlag Palastparken der Gruppe anarchitektur fordert, die Frage der Repräsentation einfach einmal unbeantwortet zu lassen. Berlins Mitte als grünen Wiesenparkplatz, den Palast stehen lassen, vor allem aber den Ort der beliebigen und freigestellten Nutzung zur Verfügung stellen... Die „leere“ Mitte wird hier nicht als Drama verstanden, sondern als Konsequenz für den Mangel an Geld und Mehrheiten für das Areal. Vorgestellt wird eine vielseitig genutzte Fläche, die temporär genutzt werden kann und Touristen, Dauercamper und Gewerbetreiber gleichermaßen einbezieht. Diese Entsagung staatlicher Präsenz, aber mehr noch der öffentlichen Kontrolle der Nutzung + sozialen Interaktion ist wohl eine der grundlegendsten Provokation für die Vertreter der Schlossrekonstruktion, die sich stets auf humanistische Wertvorstellungen beziehen, die Öffentlichkeit mit dem Gemäßigten, Regulierten, dem Konsensorientierten konzipiert.Dieser Romantisierung erteilt dieser Vorschlag eine deutliche Absage. Weil die Mitte nicht mehr durch einen integren Kern oder Ausgangspunkt vorgestellt würde, den es lediglich zu visualisieren gilt. Im zweiten Wortsinn der Vorstellung würde die „Mitte der Republik“ in eine andere „Präsentation“ münden: Ausgangspunkt unserer Erzählung würde in diesem Fall eine nicht begrifflich-fassbare Menge von Gruppen, Subjekten und Kleinst-Interessen, die in ihrer Vielfalt und ihrem manchmal Mit- , oder eben oft einfach Nebeneinander, vor allem aber auch dem teilweise Unvereinbarem die Projektion von einer einheitlich und kulturhistorischen begründeten Urspung ad adsurdum führt….
„Eine Zone des Komfort für unangenehme Begegnungen mit der Geschichte“ schlägt die Gruppe muf architecture / art vor.Für eine gewisse Zeit sollte in den entkernten Räumen des Palasts ein Raum erzeugt werden, der durch die entsprechende Tapezierung, die Schlossfassade ins Innere des Palastes holt.Dieser Raum könnte angemietet und verschieden genutzt werden – auch für Hochzeiten und Ausstellungen derjenigen Personen, die von der Palastruine abgeschreckt werden.Die Idee dabei ist, die Diskussion von der äußeren Fassadengestaltung ins Innere, und die mögliche Nutzung zu verlagern und abzukehren von der Idee, Nutzung und Gestaltung würden sich 1:1 entsprechen. Die Konzentration auf die Fassade ist tatsächlich ein Merkmal dieser Debatte. Dabei ist aus kulturwissen-schaftlicher Sicht klar, dass Architektur an sich ein Wert-und Norm-Dispositiv zwar stabilisieren und ihm dienen kann, welche Funktion Architektur als Gebäude übernehmen soll, ist nicht durch die Bauelemente einholbar. Über eine Nutzung muss entsprechend unabhängig von der Frage der Repräsentation und der Fassade verhandelt werden. Das gilt durchaus für alle Vorstellungen: auch die Abkehr von der Schlossidee allein bedeutet nicht, die automatische Progressivität von Alternativ-Vorschlägen im Bezug auf Nutzung, und neoliberale Gegenwart, zum Beispiel.
Was fast allen Vorschlägen in ihrer Unterschiedlichkeit hier gemein ist, ist das Vertrauen in die Zukunft im Gegensatz zur Vergangenheit. Denn - wie uns auch der Ausstellungsvorschlag „Playing lost nations“ verdeutlicht – ist eine ideologische Stadtbebauung kein Garant für Ewigkeit und heile Welt. Der hier vorgeschlagene Blick in die Vergangenheit weist hier gerade die Kontingenz von Geschichtsenwürfen auf. Das Prozesshafte dagegen birgt das Vertrauen in sich, dass die nachfolgenden Generationen eigene Ideen haben und, das noch viel wichtiger, auch verwirklichen wollen. Der Entwurf von Joost Meuwissen z.B. fordert genau das ein: Dass das Schloss zwar errichtet, aber in sechs Etagen aufgeteilt wird, die jeweils von den nächsten Generationen im Rhythmus von 30 Jahren gebaut werden. Insgesamt würde so auch dem historischen Zeitraum der Schlosserrichtung Rechnung getragen. Und es würde nicht nur das Bruchhafte und vielleicht auch Gegensäztliche seine Artikulierung finden, sondern auch die Diskussion um kulturelle Anforderung und Gebrauch offen gelassen werden.
Aus semiologischer Sicht wäre das auch eine Form, die eigene Widersprüchlich- und Unterschiedlichkeit in das Zeichen einzuschreiben und einen Ort zu schaffen, der seine Funktion und Qualität nicht allein durch seine Vergangenheit herleitet.
Um noch einmal auf die Frage der Mitte zurückzukommen und welche Rolle diesem spezifischen Ort als „Ausstellungs- und Verhandlungsobjekt“ innewohnt: Roland Barthes spricht davon, dass semantisch und ihrem Wesen nach, die Stadt der Ort der Begegnung mit den anderen [wohl gemerkt Plural: den anderen] ist, und deshalb das urbane – nicht infrastrukturelle - Zentrum, der Treffpunkt der gesamten Stadt sei; das Stadtzentrum wird von ihm verstanden als erlebten Austausch von sozialen Aktivitäten, als Raum in dem subversive Kräfte agieren und aufeinander treffen, Kräfte des Bruchs und des Spiels - weil Begegnung hier, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Subjekte bedeutet. Halten wir an einem Nutzungskonzept fest, das dieses nicht mitdenkt, dann kann im Barthes´schen Sinne nicht vom Zentrum der Republik gesprochen werden. Es würde sich vielmehr um eine Peripherie handeln. Um einen provinziell-anmutenden Ort, der den Metropolbestrebungen der Stadt Berlin diametral entgegen steht/stünde. Entsprechend stehen die hier gezeigten Entwürfe für mich nicht nur für Alternativen zur architektonischen und mentalen Gestaltung der Mitte Berlins, sondern auch als Angebot dafür , nicht nur im Jetzt und Heute anzukommen, sondern auch ein tatsächliches Zentrum im semiologischen Sinn zu erzeugen. Dabei geht es hier nicht so sehr um idealisierende Konzeptionen mit Weltverbesserungs-Anspruch aus irgendwelchen Traumfabriken, sondern durchaus um reale und konstruktive Gestaltungsvorschläge unserer Gegenwart. Und um die Fortführung einer Debatte, die jetzt schon viel mehr öffentliches Bewusstsein geschaffen hat, als es das fertig gestelltes Gebäude im Stile des Stadschlosses wohl je gekonnt hätte. In diesem Sinne möchte ich hier wieder auf das Anfangszitat von bell hooks zurückkommen: Imagination und Utopien zu artikulieren, bedeutet sie als Zukunfts- und Gegenwartswirklichkeiten einzuführen.
Wenn das Schloss als Katalysator und Garant von Öffentlichkeit entstehen sollte, befindet sich diese Prophezeiung schon im Prozess ihrer praktischen Verwirklichung. So gesehen bin ich froh, ja fast dankbar, über die wahnwitzige Idee, dass Schloss wieder aufzubauen (Wohl gemerkt, die Idee)... Denn hätte man den Palast einfach so abgerissen, wäre es wohl kaum zu solch einer vielschichtig geführten Debatte gekommen und wahrscheinlich hätte es auch diese Ausstellung nie gegeben...